Warum ist das Gros der Menschen an Wissenschaft desinteressiert, vertraut der Wissenschaft nicht und ist sogar richtiggehend wissenschaftsfeindlich?
M.M.: Wir befinden uns gesellschaftlich in einer herausfordernden Zeit. Es stehen mehr Informationen denn je zur Verfügung. Wenn wir sie und die neuen Technologien und Maschinen nicht mehr verstehen, bekommen wir das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Wir tendieren dazu, das, was uns verunsichert, abzulehnen oder leichtere Lösungen und Antworten zu suchen, die uns das Gefühl von Sicherheit geben.
C.B.: Es liegt auch an uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dieser Tendenz aktiv entgegenzutreten. Wir sollten der Öffentlichkeit besser vermitteln, woran und vor allem auch wie wir forschen, um das Vertrauen in Wissenschaft zu stärken.
Wissenschaft passiert nie in einem machtfreien Raum! Ölkonzerne wie Shell, Exxon und BP wussten seit Anfang der 70er-Jahre von der Gefahr des Klimawandels, da sie dazu Studien in Auftrag gegeben hatten. Sie verhinderten aber deren Publikation. Das bestärkt doch jene, die der Forschung vorwerfen, nicht objektiv und glaubhaft zu sein!
C.B.: Obwohl diese Studien nicht publiziert wurden, gibt es trotzdem einen ganz klaren wissenschaftlichen Konsens, dass der Klimawandel anthropogen ist. Die Konzerne konnten diese Erkenntnis bestenfalls verzögern, aber nicht verhindern. Wissenschaft ist nicht die Meinung eines einzelnen Experten oder besteht aus einer einzigen Studie, sondern ist der aktuelle Konsens von Fachexpertinnen und Fachexperten.
Steckt nicht der Wurm schon in der Finanzierung von Forschung, insbesondere in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik? Großkonzerne verfolgen dabei ihre eigenen Interessen. Sollte man externes Funding durch Unternehmen grundsätzlich verbieten?
C.B.: Es kommen durch extern finanzierte Forschung auch sehr viele gute Sachen heraus. Man sollte einfach mit offenen Karten spielen. Es ist aber ohnehin wissenschaftlicher Standard, offenzulegen, wie eine Studie finanziert worden ist. Da kann sich jede und jeder eine eigene Meinung bilden, ob es da Partikularinteressen gibt. Ich glaube an die positive Kraft von Objektivität, Fakten und Wissenschaft, sie setzen sich à la longue immer durch. Wir wollen mit unseren Initiativen Menschen befähigen, genau hinzuschauen, kritisch zu hinterfragen, aber auch die Grenzen von Wissenschaft besser zu verstehen.
Wissenschaft wird in der Schule oft als Ansammlung von Fakten vermittelt, die nicht hinterfragt werden dürfen, nicht mal die Frage nach dem Sinn des Lernstoffs für das weitere Leben ist erlaubt. Ist das nicht skandalös?
C.B.: Wir können Vertrauen in die Wissenschaft nur stärken, wenn wir klarmachen, dass sie nicht aus einem Ja und Nein, einem Schwarz und Weiß besteht, sondern ein kritischer Prozess ist, sich der Wirklichkeit zu nähern. Der Fokus unseres Unterrichts liegt tatsächlich auf dem Vermitteln und Abprüfen von Faktenwissen, weniger auf Fragen und Hinterfragen. Zudem reden wir in der Schule fast ausschließlich über die wissenschaftlichen Erkenntnisse bis zum Jahr 2000. Aktuelle Forschung und „Science in the making“ kommt im Unterricht so gut wie gar nicht vor.
Wie aktuelle Wissenschaft und die Prozesse dahinter funktionieren, habe ich in der Schule jedenfalls nicht gelernt!
C.B.: Diese Lücke wollen wir mit unseren Projekten füllen. Die aktuellen PISA- oder TIMSS-Studien zeigen, dass Österreichs Schülerinnen und Schüler im Wiedergeben von Faktenwissen gut sind, aber im Interpretieren von Daten und der Formulierung von Argumenten unter dem internationalen Durchschnitt liegen. Mit KI-Chatbots bekommen wir auf Knopfdruck sehr viele Informationen, sie wirken meist plausibel, das liegt in der Natur der Technologie, sind sie es aber auch? Das Stichwort ist Quellenkritik, Hinterfragen von Informationen und in weiterer Folge echtes Wissenschaftsverständnis.